Rede für Markus Lüpertz, Salzburg, 1. Juli 2005

Das Kunstwerk im Widerspruch

[testimonial image=““ name=“Peter Iden“ title=“Deutscher Theater- und Kunstkritiker“]Meine Damen, meine Herren –

Es gibt berechtigten Grund zu der Annahme, dass viele von Ihnen sich eine Skulptur, die Markus Lüpertz als „Hommage an Mozart“ versteht, anders vorgestellt haben als die Figur hier vor uns. Das Bild, das wir alle uns von der physischen Präsenz des großen Musikers machen, ist, zumal in Salzburg, bestimmt durch einen biedermeierlich-freundlichen Kopf, hübsch gewickelte Locken über den Ohren, Markenzeichen der Werbung für dies und das – das stämmige, einarmige Mannweib mit den Oberschenkeln eines Athleten, das Lüpertz uns vorführt, hat in diesem Kontext keinen Platz.

Aber Vorsicht, hier ist, um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen, schon eine erste Einschränkung geboten: Die Figur, die wir vor Augen haben, ist nicht der Versuch eines P o r t r ä t s Mozarts, will nicht dessen Abbild, sondern ist Hommage, Huldigung. Der Künstler Lüpertz hat dem Künstler Mozart das Kunstwerk einer Skulptur geschaffen. Dass diese Skulptur eine Verbindung unterhält zu Mozart und zu dessen Kunst, dürfen wir als von Lüpertz mitgedachten Bezug annehmen – jedoch als Bezug nicht in einem sofort sich offenbarenden Sinn, gerade nicht explizit und auf den ersten Blick sich erschließend.

Vielmehr ist die Figur, wie jedes künstlerische Werk von Rang, zuallererst eine autonome Setzung, existent aus eigenem Recht und durchaus eigenständig in ihrer Wirklichkeit. Dieser Anspruch auf Autonomie kann und darf in der Wahrnehmung so wenig wie in der Interpretation des Wahrgenommenen keinesfalls unterschlagen werden.

Die erste Entscheidung, die Markus Lüpertz für seine Skulptur getroffen hat, ist also die der Verweigerung jeder Art von Wiederholung des Mozart-Bildes, das im Umlauf ist: Vielmehr signalisiert die Nackte gerade die Unmöglichkeit einer Darstellung der Person, die Mozart heißt. Unmöglichkeit, weil diese Person im kulturellen Gedächtnis als Person überwunden ist, indem sie aufgehoben wird in den Schöpfungen der Musik. Wer ihn erfassen will, den Wolfgang Amadeus, muss ihn aussparen.

Das heißt auch: Wir haben zuerst und vor allem uns einzulassen auf die Skulptur selber. Ehe irgendein Bedeutungswert ihr zuzudenken wäre, ist das Werk, was es ist. Was ist zu sehen?

Die Figur, dreieinhalb Meter hoch, gearbeitet in Bronze, stellenweise farbig gefasst, vierhundert Kilogramm schwer, ist von wahrhaftig massiger, dabei in sich gespannter Körperlichkeit – und hält sich doch erstaunlich selbstverständlich, nachgerade mit einer gewissen Leichtigkeit. In vorausgegangenen Modellen hatte Lüpertz sie ganz ohne Arme gelassen, die finale Version, die wir jetzt vor uns haben, zeigt den rechten Arm abgewinkelt, die rechte Hüfte sachte ausgestellt, das Spielbein mit dem blauen Füßchen graziös abgespreizt: bei aller Schwere gibt es die distante Erinnerung an etwas Tänzerisches.

Mit dem Kopf ist sie woanders. Sie hält ihn aufrecht, Lippen und Wangen sind grell geschminkt. Eine Krüppelin, den Körper ungeschützt präsentierend, mit entschiedener Selbstbehauptung, sogar einem Anflug von Stolz. Die Augen, auf ein Fernes gerichtet, sehen ab von den Umständen.

Kunsthistorisch bezeugt jede Darstellung der menschlichen Figur etwas vom Menschenbild der Epoche, die sie hervorbringt. Der Erfahrungsgehalt, den Lüpertz in dieser Hinsicht vermittelt, ist unübersehbar der einer Nachricht aus dem beschädigten Leben. Wir hätten es gern schöner und heil – indes, wie es euch gefällt, geht´s nicht mehr. Die Figur ist von jetzt. Und jetzt ist es so, dass Lüpertz aus leider gutem Grund Veranlassung nimmt, mit einer Skulptur, die nicht den Mozart meint, sondern den Wirkungsraum von dessen Genie: die Musik, zu handeln vom Wagnis der ungeschützten Behauptung, die jede Kunst immer ist, von der Gefahr ihrer Bedrohung, von Versehrung und Verstümmelung, die ihr beigebracht werden können und zugefügt werden jederzeit. Wer will denn schon Künstler und Kunst um ihrer selbst willen tatsächlich? Die Frage war dringlich zu Mozarts Zeit – sie ist jetzt eher noch dringlicher zu stellen.

Kunst sei untröstlich, hat Heinrich Böll einmal formuliert, aber nie ohne Trost. Aus dem Wagnis des Hervortretens folgen Würde und Stolz im Ausdruck der Kunst-Gestalt, die Markus Lüpertz geschaffen hat. Der übergroße Kopf – von Mozart wird gesagt, er habe im Kopf komponiert. „Sie wissen, daß ich so zu sagen in der Musique stecke – daß ich den ganzen Tag damit umgehe – daß ich gern speculiere, studiere, überlege“, so in einem Brief von 1778. Oder am vorletzten Tag des Jahres 1780: „Ich muss alles hals und kopf schreiben – komponiert ist schon alles – aber geschrieben noch nicht.“ So verfasste er die Ouvertüre zu „Don Giovanni“ in einer einzigen Nacht, der Nacht vor der Uraufführung.

In der Versehrtheit ein Opfer – und doch sich behauptend: Gefragt werden kann, warum die Trägerin der doppelten Auskunft eine Frau ist. Wird mit der Opferrolle der Amputierten nicht fortgeschrieben, was Frauen immer zugedacht wurde? Und produzierte Lüpertz dann nicht mit der Verweigerung des gängigen, üblichen Mozartbildes nur ein anderes Klischee? Gegen solchen Verdacht wäre zu argumentieren mit dem Verweis auf den hochgetragenen Kopf, dessen resoluter Ausdruck den beschädigten Leib nicht wahrhat: Dieser Mensch ist nicht nur ein Opfer.

Es wird – hoffentlich – Streit sein in Salzburg über dieses männliche Weib. Streit, geführt gegen die Skulptur von denen, die darin von Mozart nichts wiederfinden wollen. Und geführt gegen die Figur auch von denen, die zu einer Akzeptanz der weiblichen Doppelrolle – die Frau als Opfer und zugleich als triumphierende Überwinderin ihrer Situation einer Leidenden – sich nicht bequemen möchten.

Doch wäre eine solche Auseinandersetzung schließlich nur, was als provokantes Potenzial die Qualität des Kunstwerks gerade ausmacht. Falsche Friedensschlüsse können die Sache des Künstlers nicht sein. Erst die Herausforderung zum Widerspruch ermöglicht dem Betrachter einen Platz vor dem Werk, eine Haltung dazu und eine Teilnahme daran. Wohin denn wir? Immer dahin, meine Besten, wo Einverständnis sich nicht widerstandslos und von selber ergibt.

In dieser Hinsicht kommt der auf hohem Gestaltungsniveau realisierten Arbeit von Lüpertz im öffentlichen Raum auch eine praktisch-politische Bedeutung zu. Man wird nämlich erleben, ob in Salzburg eine Auseinandersetzung entstehen kann, die in der Reflexion auf das Werk und die vom Künstler damit adressierte Stadtgesellschaft dem Rang der ästhetischen Behauptung der Vorgabe entspricht und sich aus ihr kritisch rechtfertigt. Ich setze darauf mit großer Zuversicht.

Peter Iden[/testimonial]

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