Peter Iden über das Komponisten-Projekt

Die Ästhetik der einen Kunst ist auch die der anderen

Zu dem Salzburger Vorhaben einer Verbindung von Skulptur und Musik

Von Peter Iden:

[testimonial image=““ name=“Peter Iden“ title=“Deutscher Theater- und Kunstkritiker“]

Zwölf skulpturale Werke der zeitgenössischen Bildenden Kunst haben seit dem Jahr 2002 im öffentlichen Raum Salzburgs einen festen, von den durch die Salzburg Foundation auf Anregung von deren Mentor Walter Smerling eingeladenen Künstlern selbst ausgewählten Standort gefunden. Die Skulpturen, nach Ansatz, Intention, Gestalt und Material höchst unterschiedlich, markieren die Stationen eines „Walk of Modern Art“, der sich versteht als kontrastierende Erweiterung der, historisch wie aktuell, vordringlich von der Architektur des Barock und den Kunstformen der Musik und des Theaters bestimmten Atmosphäre der Stadt.

Einzelne der Werke wurden (und werden noch) vom Publikum im Stadtbild als verstörend empfunden. Je größer allerdings die von ihnen ausgehenden Irritationen, umso näher sind sie jenem Charakter des Transgressiven, der Überschreitung von Demarkationslinien zur Konvention, die ein prominentes Merkmal der Prozesse ist, in welchen die zeitgenössische Moderne sich artikuliert: Als nachwirkender Reflex originär gesellschaftlichen (politischen) Widerspruchs gehört ja genereller Konsens nicht zu deren Programm.

Es ist nun von Bernd Dinter, der als ein exzellenter Kenner der zeitgenössischen Musikszene mit den besten Kontakten zu deren Protagonisten die Entwicklung des Salzburger Skulpturenprojekts von Anbeginn an begleitet hat, der Vorschlag durchdacht und der Foundation unterbreitet worden, im Zuge des Versuchs gleichsam einer Zusammenführung der Ausdrucksformen „Skulptur“ und „Musik“, die beiden Genres derart einander anzunähern, dass zeitgenössische Komponisten jeweils auf eine bestimmte der plastischen Arbeiten mit einem eigenen musikalischen Werk reagieren. Im Ergebnis entstünde die Aufführung eines Konzerts, das sich inspiriert wüsste von den Wirkungen der vorgegebenen Skulpturen auf seine Musiker. Mit Matthias Pintscher, der als Kurator und musikalischer Leiter gewonnen wurde sowie dem Scharoun Ensemble Berlin ist dieses Konzept von Dinter zu dem nun vorliegendem „Komponistenprojekt“ weiterentwickelt worden!

Unbestreitbar an Bernd Dinters Vorschlag ist der Reiz, dass so einander begegnen würden das Ephemere, ihrer Natur nach Flüchtige der Realität von Klängen und das Statische der bei aller Offenheit ihrer möglichen Bedeutung (und also auch aller Offenheit der Deutung durch den Betrachter) auf Dauer im Stadtbild fixierten plastischen Werke. Dem als zeitlos Beabsichtigten der Skulpturen würde durch die musikalische Bewegung eine Dimension der Verzeitlichung aufgetan und erschlossen.

Indes ist das ein Effekt, der zugleich auf Fragestellungen verweist, die sich aus einer solchen Verbindung grundsätzlich ergeben. Miteinander verbinden lässt sich eines mit einem anderen sinnvoll nur, wenn an beiden ein dem Wesen nach Gemeinsames als Voraussetzung den Brückenschlag von Ufer zu Ufer überhaupt zulässt. In seinem Plädoyer für die in einem literarischen Sinn poetische Beseelung der Musik, gegen deren formale Erstarrung, hatte schon Robert Schumann kühn postuliert , die Ästhetik der einen Kunst sei auch die der anderen. „Ästhetik“, im romantischen Kontext des Begriffs, wie Schumann ihn behauptete, die Vorstellung vom Schönen und Wahrhaftigen als Urgrund aller Künste – wäre sie demnach deren prinzipiell Gemeinsames, das dann auch Einlassungen der Musik auf Prägungen der Bildenden Kunst ermöglichen und rechtfertigen könnte?

Das ist zu untersuchen. Und zwar heute vor allem unter Einbeziehung der Veränderungen, die der Kunstbegriff der Moderne in allen Gattungen der Künste, der Literatur und des Dramas wie eben auch der Musik und der Bildenden Kunst, an sich vollzogen hat. Man wird, um die Frage nach der Möglichkeit einer Verbindung von Musik und Skulptur zu bejahen, sogleich einige sich aufdrängende historische Beispiele bemühen. Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ (von 1874) etwa, ebenso wie Claude Debussys „Prélude à l´après-midi d´un faune“, das Orchesterwerk von 1892, das in der Manier impressionistischer Malerei Klangkonturen und melodische Linien auflöst zugunsten von Klängen, die der Komponist wie Farbpunkte reiht, oder auch Strawinskys, durch eine Kupferstichserie William Hogarths angeregte Oper „The Rake´s Progress“.

Nicht zu übersehen jedoch, dass Mussorgskis Klavierwerk zehn voneinander unabhängiger Klanggemälde, später von Ravel in eine Orchesterfassung umgesetzt, sich bezog auf eine Ausstellung von Aquarellen und Zeichnungen des russischen Architekten und Malers Victor Hartmann, dessen Bilder wie die Zeichnungen Hogarths, die Strawinski auf „The Rake´s Progress“ brachten, noch figurativ verfasste Narrationen waren, und Debussys individualisierte Klangwerte des „Nachmittag eines Faun“ sich orientieren konnten sowohl an der formalen Struktur des gleichnamigen Gedichts von Mallarmé wie an der relativ fest umrissenen Stilvorgabe und Methodik impressionistischer Malerei.

Derart noch von einem immerhin halbwegs sicheren Kanon der Mittel und ihrer Organisation ausgehend, sind die Werke, welche die Komponisten in Salzburg vorfinden, nicht mehr. Wie denn auch die für das Vorhaben ausgewählten zeitgenössischen Komponisten selber mit den von ihnen bislang bekannten musikalischen Entwürfen weit in Zonen des prozesshaft Experimentellen ausgreifen. Zu erwarten ist von den Musikern also keine Wiedererkennbarkeit, gar eine illustrative Paraphrasierung der Skulpturen im musikalischen Zusammenhang. Was vielmehr die Verbindungen, die sie zu den Werken der Bildenden Kunst eingehen, einzig versprechen können, sind dezidiert individuell, nämlich nach Maßgabe der jeweils eigenen kompositorischen Praxis und Phantasie verfasste Antworten.

Der Versuch der Verbindung kann mithin nur sich begründen aus gleichsam einer ultimativen Gemeinsamkeit: Dass nämlich Musik wie Bildhauerei, bei freilich äußerster Verschiedenheit der Ansätze, einer Formensprache sich bedienen, die, mit einer Bemerkung Adornos „ihr dialektisches Wesen daran hat, dass sie ihre Bewegung zur Einheit einzig durch die Vielheit hindurch vollzieht“.(1) Noch (und gerade) in der Verweigerung von Form ist in der Sprache aller künstlerischen Gattungen ein Moment außerkünstlerischer Empirie als Welterfahrung bewahrt, gegen welche sie im künstlerischen Entwurf antithetisch, wenn nicht gar rebellisch sich verhält. Es ist nicht zuletzt dieses Aufbegehren jedenfalls ein Merkmal eben genau jenes Gemeinsamen, das im gegebenen Fall ein wechselseitiges Reagieren des Mediums Musik auf das der Bildenden Kunst denkbar und tatsächlich verwirklichbar macht.

Künstler wie der in seiner Salzburger Installation zwischen Bild und Skulptur, phantastischer, von der Lyrik Ingeborg Bachmanns provozierter Landschaft und bleiernen Büchern als Hinweisen auf die Geschichte des Wissens von lange her sich bewegende Anselm Kiefer; Mario Merz, dessen „Ziffern im Wald“ sich lesen lassen als poetisch den Konflikt von Ratio und Natur umspielend; die das zeitgenössische Menschenbild in aller Widersprüchlichkeit thematisierenden Arbeiten von Tony Cragg, Jaume Plensa, Stephan Balkenhol und Boltanski; die mahnenden Brückenaufsätze der Brigitte Kowanz und die an ein Innehalten appellierende Installation der Marina Abramovic; die Mozart-Figur von Markus Lüpertz, die Rolle und Schicksal der Musik (und der Kunst generell) in der Welt Gestalt gibt; schließlich das Werk von James Turell, das, was wir allzu selbstverständlich „Wahrnehmung“ heißen, als einen Vorgang von verblüffender Komplexität vor Augen führt: Alle diese Setzungen im öffentlichen Raum der Stadt handeln von dem, was täglich uns umgibt – aber sie tun es mit den Vorschlägen so zuvor nicht gesehener Formen, die ihren Stoff erfassen indem sie ihn zugleich transzendieren.

Wie andererseits die Musik eine Welterweiterung uns vorschlägt, Tonfolgen und Klänge hören und daraus Assoziationen und Stimmungen entstehen lässt, die anders ohne Präsenz blieben: Wie heterogen auch immer in ihren heutigen Sprachen sie sich artikuliert und bestimmt gegenüber dem, was wir leben, ist Musik, wie alle Kunst, doch Aufruf, nicht zu verharren nur in dem, was wir kennen.

Wie nun sie aufnimmt, was die andere Gattung ihr zum Anlass bietet – der Spannungsgehalt an dem Projekt dieser Verbindung könnte sich realisieren als Erkenntniswert in Hinsicht auf beide.

[/testimonial]

1) Theodor W.Adorno: „Die Kunst und die Künste“, Vortrag in der Berliner Akademie der Künste, 23.Juli 1966, in „Ohne Leitbild. Parva Aesthetica“, edition suhrkamp 201, 1967, S.177.